Hintergründe

Der Paketbote mit dem Stadtplan im Kopf

Über 200 Millionen Pakete liefert die Post jährlich aus. 300 von ihnen haben wir in die Stadt Zürich begleitet, zusammen mit dem Paketboten, der sie in Zürich-Wiedikon ausliefert: Daniel Hug.

Fredy Gasser

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Daniel und Zeljko beladen Daniels Lieferwagen in der taghellen Halle, während es draussen noch Nacht ist.
Immer zu zweit: Daniel und Zeljko beladen Daniels Lieferwagen in der taghellen Halle, während es draussen noch Nacht ist. (Copyright: Michael Sieber)

Wie in einem unsichtbaren Räderwerk verbunden, arbeiten Dutzende von Männern und Frauen in der grossen Halle der Distributionsbasis von Urdorf zusammen. Sie schieben die mannshohen Gitter-Transportwagen – im Branchenjargon «RX» genannt – vor die grossen gelben Kastenwagen, deren Türen offen sind. Rund 13 Kubikmeter Volumen befüllt Paketbote Daniel Hug im Duo mit Kollege Zeljko. Es sind immer Zweierteams, die sich gegenseitig helfen, die Wagen zu beladen. Sie entladen die RX völlig zielgerichtet: manche Pakete auf einen Haufen vor dem Lieferwagen oder einen zweiten oder einen dritten, manche direkt in den Wagen, manche auf einen mobilen Tisch davor, der mit grossen schwarzen Brandzahlen in vier Bereiche geteilt ist. Das Treiben ist geschäftig und völlig ohne Lärm, die frechen Sprüche in herzlichem Ton, niemand flucht. Es ist 6 Uhr morgens, bis in einer Stunde ist Danis Zustellfahrzeug 119 gefüllt mit rund 300 Paketen aller Grössen und Gewichte. Er fährt eine der 115 Touren, die von der  Distributionsbasis Urdorf den Grossraum Zürich bedienen.

Das letzte Paket für die Tour in den Händen, posiert Paketbote Daniel Hug für den Fotografen.

«Die fünf Haufen», erklärt Daniel, «markieren, wie wir den Wagen beladen: Die Eins ist der Haufen vor dem Wagen, die Zwei jener zuvorderst im Wagen, die Fünf jener zuhinterst.» Die Haufen verteilt er wie in einem ständig ändernden Tetris-Spiel in den Kastenwagen: Paket an die Wand, das nächste davor, das nächste darüber, dann ein ganz schweres («müssen Goldbarren sein, haha»), die vorderen drei darauf. Im Mittelgang häuft sich ein Paketstapel, die eine Ecke ist noch ganz frei, die andere schon fast bis zur Decke gefüllt. Wer zuschaut, denkt: Paketboten haben den ganzen Stadtplan im Kopf. «Zumindest meine Tour», sagt Daniel.

Alles bereit: Das letzte Paket für die Tour in den Händen, posiert Paketbote Daniel Hug für den Fotografen. (Copyright: Michael Sieber)

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Abfahrt als Schauspiel

Kurz nach 7 Uhr verlassen die Dutzenden gelben Paketlieferwagen für die 115 Touren fast gleichzeitig die Halle. Ein Schauspiel für sich: Von weit hinten nähert sich ein halbes Dutzend Lieferwagen, von links rollen drei oder vier von ihren Ladeplätzen rückwärts in den Hauptgang ein, von rechts biegen nochmals mehrere in den Hauptgang ein. Kein Hupen, kein Bremsquietschen, alle lassen einander den Vortritt. Keine fünf Minuten später sind alle aus der Halle und auf dem Weg zu ihren rund 4500 Lieferadressen.

Liefern im Grossraum Zürich – gerät man da nicht dauernd in einen Stau? Daniel lacht. «Nein, eigentlich nur sehr selten.» Prompt muss er auf dem Weg vom Industriegebiet Urdorf nach Zürich-Wiedikon abbremsen und anhalten, vor ihm Dutzende von stehenden Autos. Daniel bringt das nicht aus der Ruhe; seit 21 Jahren arbeitet der gelernte Schreiner bei der Post. «Die paar Minuten holen wir sicher wieder auf.» Und erklärt im Nachsatz: «Als Paketbote lernst du schnell, sanft abzubremsen und ebenso sanft anfahren – sonst ist der Laderaum schnell ein einziges Durcheinander.»

Daniel Hug macht ein genau eingeteiltes Zwischendepot auf dem Trottoir.
Viele Lieferadressen an derselben Hausnummer: Da macht Daniel Hug ein genau eingeteiltes Zwischendepot auf dem Trottoir. (Copyright: Michael Sieber)

«Post – Unterschrift!»

Seine Tour in Zürich-Wiedikon hat Daniel bis zur letzten Adresse im Kopf, kein Stadtplan, keine Handy-Abfrage, er fährt zielsicher wie mit einem verinnerlichten GPS. Hält an einem für ihn strategisch günstigen Ort auf dem Trottoir. «Hier bin ich schneller zu Fuss als mit dem Lieferwagen, zu viele Einbahnstrassen.» Er liefert nicht nur Pakete, sondern heute auch sechs Express-Sendungen, ausserdem liegen zehn Abholungsauftrag-Zettel auf seinem Armaturenbrett. Dann packt er ein halbes Dutzend Pakete auf seinen Handwagen, läuft zielgerichtet auf einen Hauseingang zu, klingelt: «Post! Unterschrift!», ruft er, oder «Post, Paket! Ich stelle es in den Hauseingang!»

Paketbote Daniel Hug trägt mehrere Pakete und checkt gleichzeitig Empfängernamen am Klingelbrett ab
Pakete jonglieren und gleichzeitig Empfängernamen am Klingelbrett abchecken – für Paketbote Daniel Hug selbstverständlicher Alltag. (Copyright: Michael Sieber)

Falls die Haustüre geöffnet wird, kann Daniel seine Pakete bei den Wohnungseingängen deponieren. Antwortet niemand, greift er routiniert zum Block mit den Abholungseinladungen, scannt das Paket, scannt den QR-Code auf der Abholungseinladung, klebt kleine QR-Codes aufs Paket und nimmt es wieder mit. «Paketdiebstahl ist klar ein Thema, kommt aber nicht so häufig vor, wie viele meinen», sagt Daniel über seine Tour in Zürich-Wiedikon.

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Kaffee und Kuchen

Auch in der Grossstadt und auch in Zeiten permanenten Zeitdrucks hat er immer wieder schöne Erlebnisse. «Ja, es ist auch schon vorgekommen, dass man mir einen Kaffee und ein Stück Kuchen angeboten hat.» Ansonsten ist seine Tour eng getaktet: Für die 276 Pakete, sechs Express-Sendungen (die muss er bis spätestens 9 Uhr ausgeliefert haben) und die zehn Abholungen hat er Zeit bis nachmittags 15 Uhr. Bis 10 Uhr muss er mindestens 20 Minuten Pause gemacht haben und zwischen 11 und 13 Uhr 40 Minuten Mittagspause.

Daniel Hug mit einem Paket vor seinem Liefgerwagen.
(Copyright: Michael Sieber)

Traumwandlerisch sicher

Es ist inzwischen 10.30 Uhr, die Tour läuft gut. Um 8.35 Uhr hatte Daniel die letzte seiner Express-Sendungen ausgehändigt, die «Abholer» erledigt er zwischendurch, fährt um zwei Blocks, hält auf dem breiten Trottoir, öffnet den Lieferwagen, nimmt den Handwagen heraus und belädt ihn mit Paketen, die er mit traumwandlerischer Sicherheit von dem für Laien undurchschaubaren Pakethaufen im Lieferwagen nimmt. «Ich mache immer diese Tour im Kreis 3 und 4, das ist ein Riesenvorteil», sagt er dazu nur und lächelt. Als Schreiner habe er irgendwann gedacht: Immer nur Werkstatt, das wolle er nicht, stattdessen lieber einen Job draussen und unter Leuten. «Und nicht zuletzt deswegen bin ich auch heute noch gerne Paketbote.»

Daniel Hug in einem Hauseingang
«Ich liefere gerne in der Stadt», sagt Paketbote Daniel Hug, mitten auf seiner Tour in Zürich-Wiedikon. (Copyright: Michael Sieber)

Lob vom Chef

So gerne Paketbote Daniel Hug bei der Post arbeitet, so begeistert zeigt sich der oberste Chef der Distributionsbasis Urdorf, Claude Wuillemin über die Arbeit seiner Crew. «Wir mussten seit Jahren kein Inserat mehr schalten», erzählt er, «wird eine Stelle frei, bringen die Mitarbeitenden selber Leute – und sie haben ihren Stolz, dass die Neuen genauso gut werden wie sie.» Und er erzählt weiter: «30 unserer Mitarbeitenden nehmen ihre Lieferfahrzeuge nach Hause. Wenn sie am Morgen früh hier ankommen, sortieren sie sich schon vor der Halle in der richtigen Reihenfolge. Geht das grosse Hallentor auf, sind die innert fünf Minuten an ihren Plätzen parkiert.» Claude selber ist seit 47 Jahren bei der Post, seit 25 Jahren bei der Paketpost. Und immer noch jede Woche mehrmals morgens um 4 Uhr in der grossen Halle in Urdorf. «Am Morgen bei uns in der Halle», sagt er und seine Augen blitzen, «da läuft die Musik!»

verfasst von

Fredy Gasser

«Alle haben ein Recht darauf, ihre Post zu erhalten!»

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