Hintergründe

Briefkasten hinter Gittern

Parfümierte Briefe und Bescheide von der Gerichtsbehörde: Die Post liefert auch ins Gefängnis. Zum Beispiel in die Justizvollzugsanstalt Thorberg in der Region Burgdorf. Das funktioniert weniger spektakulär als Sie vielleicht vermuten. Genau deshalb ist ein Besuch spannend.

Fredy Gasser

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Gisela Schmutz vor den Toren des Thorbergs
Post fürs Gefängnis: Zustellerin Gisela Schmutz vor dem Haupteingang zur Justizvollzugsanstalt Thorberg im Kanton Bern.

Die Verbindung zur Welt draussen ist ein gelber Lieferwagen, am Steuer sitzt Gisela Schmutz von der Post-Zustellstelle Hindelbank. Sie fährt heute die Tour «331». Diese führt unter anderem hoch auf den ThorbergTarget not accessible, 10 Minuten von den Lagerräumen der Post in Hindelbank entfernt. Der Weg windet sich an Wiesen, Bauernhöfen und trotz strömenden Regens leuchtend gelben Rapsfeldern vorbei ins Dorf Krauchthal. Nach ein paar letzten Kurven den Hügel hoch hat Zustellerin Gisela ihr erstes Zwischenziel erreicht: das mächtige Gitterrohrtor vor dem Eingang des Gefängnisses.

Für Aussenstehende eine ganz besondere Adresse, für Zustellerin Gisela eine alte Bekannte: «Ich bin hier aufgewachsen, gleich dort drüben steht das Bauernhaus.» Als Kind begegnete sie den Insassen immer wieder in deren braunen Überkleidern. Damals arbeiteten diese noch auf den Landwirtschaftsbetrieben, heute nicht mehr.

Gisela Schmutz  hinter einem Gitter
Auch Gefängnis-Insassen bestellen gerne online: Gisela Schmutz belädt ihren VW Caddy.

Gisela fährt ihren gelben VW Caddy in die Fahrzeugschleuse, hinter dem Wagen schliesst mit leisem Rollen das schwere Tor. Hinter ihr: Gitter. Vor ihr: Gitter. «Die beiden Tore dürfen nie gleichzeitig offen sein», sagt Gisela. Rechts, zwischen dem äusseren und dem inneren Gittertor und hinter Schutzglas: der Empfangsbereich des Gefängnisses Thorberg. Hier melden sich nicht nur Besucher aller Art, hier ist auch die Post-Annahmestelle der Justizvollzugsanstalt. Gisela öffnet die Hecktüre. Heute für den Thorberg: ein paar wenige Pakete und die graue Postkiste mit Briefen. Wobei:

Gisela Schmutz im Empfangsbereich

Brief ist nicht gleich Brief

Die Pakete schiebt Gisela in eine grosse Klappe unter dem Empfangstresen. «Hoi zäme»  «Hoi, Gisela». Man kennt sich. Die Sicherheitsbeamten der Justizvollzugsanstalt nehmen die Pakete entgegen und stellen sie aufs Laufband für die Kontrolle. Es geht hier eher zu wie auf einem Flughafen als im Empfang eines Gefängnisses. Sämtliche Inhalte werden geprüft, auch auf nicht erlaubte oder gefährliche Gegenstände. «Aber wir öffnen selbstverständlich keine Briefe», sagt Simon Peier. Er ist der Sicherheits- und Kommunikationschef auf dem Thorberg und hat schon vieles gesehen. Dazu später, erst wird die Briefpost sortiert: «Es gibt Post für die Verwaltung, aber auch Gerichtsakten und natürlich Post für die Insassen», so Simon Peier. Auch Liebesbriefe? Ja, hier komme schon «der eine oder andere parfümierte» Brief an.

Am Eingangsschalter des Gefängnisses: Sämtliche Inhalte werden kontrolliert.

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Gisela scannt die Behördenpost mit ihrem Handyscanner, ein Sicherheitsbeamter kontrolliert die Adressen. «Nein, dieser hier ist nicht bekannt», sagt er plötzlich. Gisela checkt ein weiteres Mal, er sucht ebenfalls nochmals in den Verzeichnissen. «Nein, wirklich nicht.». Diesen eingeschriebenen Brief nimmt Gisela wieder mit. Ganz normaler Post-Alltag.

Normalität drinnen und draussen

Und besonders wichtig im Thorberg-Alltag. «Die Post bringt etwas Normalität in den Vollzugsalltag», sagt Thorberg-Direktor Hans-Rudolf Schwarz. «Es ist aber wie draussen: Wenn der Brief oder das Paket nicht eintrifft, kann es Ärger geben.» Wichtig sei auch, dass die Insassen über Skype – überwacht wie ein physischer Besuch – oder einem Zellentelefon mit ihren Angehörigen verbunden seien. «Aber Videotelefonie wird den parfümierten Brief der Partnerin oder die Zeichnung der Tochter nie ersetzen können.» 

Familienkontakt und Entlassungsschreiben

Auch die Gefangenen selber bestätigen  , wie wichtig die Post im Gefängnis-Alltag sind: «Die Post ist wichtig für uns, weil sie uns ermöglicht, mit der Aussenwelt und vor allem unseren Familien in Kontakt zu bleiben», sagt ein Insassse und fügt an: «Nicht zu vergessen, dass auch die Schreiben, in welchen wir über unsere Entlassung informiert werden, per Post verschickt werden.» Ein anderer lässt ausrichten: «Die Briefe sind sehr wichtig für uns.» Und ein Dritter sagt: «Das Wichtigste in der Schweiz läuft über die Post, Briefe, Rechnungen, Abonnemente, Mahnungen, Verträge.»

Für Direktor Schwarz ist klar: «Dank der Post können Kontakte zwischen den Gefangenen und ihren Familien hergestellt werden.» In diesem geschlossenen Kontext sei die Möglichkeit, über die Post zu kommunizieren, eine Erleichterung. «Das hilft allen hier bei der Bewältigung unseres Alltages.»

Gisela Schmutz mit Briefen

Päckli mit Überraschungsfolgen

Teamleiter Marcel Hofstetter hilft beim Beladen.

Zurück zum Eingangsschalter und zu den Paketen und ihren Inhalten. Die berühmte Feile im ebenso berühmten Kuchen, das ist natürlich Kino-Romantik. Im Gefängnisalltag heute spielen eher, so Sicherheitschef Peier, «elektronische Datenträger» eine Rolle. Oder Betäubungsmittel. Für echtes Kino sorgte auf dem Thorberg einmal ein Paket, adressiert an die «Justizvollzugsanstalt Thorberg», ohne weitere Angaben, dafür gespickt mit Betäubungsmitteln. Adressat? Absender? Auch das gehört zum Alltag auf dem Thorberg. Wie der Einkauf im Internet. Auch Gefängnis-Insassen bestellen gerne online. Dafür hat die Justizvollzugsanstalt Thorberg spezielle Accounts bei den gängigen Lieferanten eingerichtet: So bleiben die Besteller nach aussen anonym und das Sicherheitsteam hat die Warenflüsse unter Kontrolle. Trotzdem gibt es Überraschungen: «Immer wieder passiert es, dass Pakete aus dem Ausland hier eintreffen, die zollpflichtige Waren enthalten», so Sicherheitschef Peier. Nach der Freude über den Tabak aus dem Heimatland folge dann eine teure Zollabrechnung. Auch das gehört zum Alltag auf dem Thorberg.

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Post aus dem Thorberg

Soviel zur Post, die in der Justizvollzugsanstalt Thorberg ankommt. Post von dort nimmt den ganz normalen Weg: Der Sicherheitsdienst liefert die gesammelte Post von Verwaltung und Insassen täglich in die Postabteilung («Filiale mit Partner») im «Volg», erklärt Sicherheitschef Peier. Inzwischen sind alle Pakete kontrolliert und die Briefpost sortiert. Gisela packt ihre graue Postkiste in den Caddy, steigt mit einem letzten Blick zum Stacheldraht ein und wendet zur Abfahrt. Das Gittertor öffnet sich langsam. Sie fährt hinaus, den Hügel hinab, in die freie Welt der Region. Hinter ihr schliesst das Gittertor. Dann sind beide Tore wieder geschlossen. Alltag auf dem Thorberg.

Foto von Gisela Schmutz
Auch bei Regenwetter immer Zeit für ein Lächeln: Zustellerin Gisela Schmutz.

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Fredy Gasser

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