Menschen, Blog

«Solange wir keine ausgewogene Vielfalt haben, müssen wir proaktiv handeln»

Die Computerwissenschaften sind in der Schweiz ein hartes Pflaster für Frauen. Dabei wird das weibliche Potenzial dringend benötigt. Linda de Winter, Leiterin Development, und Laetitia Henriot Arsever, Leiterin Technology Management, erzählen, weshalb sie sich in dieser Domäne trotzdem wohlfühlen.

Claudia Langenegger

Inhaltsbereich

Links Laetitia Henriot Arsever, Leiterin Technology Management, Informatik Post und rechts Linda de Winter, Leiterin Development, Informatik Post.
Links Laetitia Henriot Arsever, Leiterin Technology Management, Informatik Post und rechts Linda de Winter, Leiterin Development, Informatik Post.

Nur 14,5 Prozent der Mitarbeitenden in der Informatik der Post sind weiblich. Braucht es mehr Frauen?

Linda de Winter: Die Informatik wird sicher immer recht technisch und rational präsentiert. Es wird weniger gezeigt, wie die Arbeit und die kreativere Seite in der Informatik aussehen. Auch denke ich, dass es für Frauen wichtig ist, den Nutzen und die Wirkung eines Jobs zu sehen. Solange das zu wenig der Fall ist, spricht die Informatik vielleicht auch weniger Frauen an.

Laetitia Henriot Arsever: Der Frauenmangel in der Informatik hat verschiedene Gründe. Wie wir aus mehreren Studien wissen, liegt es nicht an fehlenden Ambitionen oder Kompetenzen der Frauen, sondern an viel komplexeren Faktoren: Image, mangende Vorbilder, Umwelt, Kultur, Karrieremodelle, Rekrutierungsprozesse, Vorurteile – um nur ein paar zu nennen. Interessanterweise trifft das aber nicht auf alle Länder zu. In Malaysia beispielsweise ist das Verhältnis ausgewogen. Es ist also möglich, den Frauenanteil in der IT zu steigern, und deshalb bin ich überzeugt, dass wir uns weiter dafür einsetzen sollten.

Braucht es mehr Frauen in der Informatik?

LHA: Wir brauchen generell mehr Vielfalt und Inklusion – nicht nur Geschlechterdiversität. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass wir als Unternehmen erfolgreicher sind, wenn es uns gelingt, unsere Fähigkeiten, Erfahrungen und Perspektiven voll auszuschöpfen.

LdW: Vor allem im Hinblick auf die Digitalisierung unserer Gesellschaft. Wir setzen immer mehr Apps ein, um unser Leben zu erleichtern, in denen teilweise künstliche Intelligenz (KI) steckt. Diese Apps und Algorithmen für die KI sollten von einer Gruppe entwickelt werden, die genauso divers ist, wie jene der Benutzerinnen und Benutzer. Sonst passt doch die Logik nicht mit der Denk- und Gefühlswelt der Nutzer zusammen.

Wie holt man Frauen in die IT-Branche? Muss man sie anders «anlocken» als Männer?

LHA: Solange wir keine ausgewogene Vielfalt haben, müssen wir proaktiv handeln. In unserem Netzwerk und unserer Rekrutierungsdatenbank habe ich Verzerrungen festgestellt. Das heisst, wir müssen besonders darauf achten, wie wir Personal rekrutieren, dass wir auch Frauen erreichen und dass unsere Stellenbeschreibungen genderneutral sind.

LdW: Ich denke schon, dass man die Informatik etwas anders zeigen sollte. Man sollte mehr auf die Wirkung, die man in der Gesellschaft erzielen kann, auf den Einfluss auf die Benutzerfreundlichkeit und auf den Nutzen von IT-Lösungen hinweisen. Zudem kann verstärkt aufgezeigt werden, dass man heutzutage auch in der Informatik im Team arbeitet, sich weiterentwickeln kann sowie mit den Kundinnen und Kunden kontakt hat. Das sind alles Faktoren, die sicher auch Frauen ansprechen.

Bei den Lernenden hat es etwas mehr Frauen. Haben weibliche Digital Natives weniger Berührungsängste?

LdW: Einerseits sind die Digital Natives informatikaffin und somit kommen die jungen Frauen unserer Branche automatisch näher. Andererseits sinkt die Hemmschwelle der Frauen massiv, in Bereiche einzusteigen, die traditionell als Männerberufe bezeichnet wurden. Hier hinkt die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern aus meiner Sicht leider etwas hinterher.

LHA: Den jüngsten BFS-StatistikenTarget not accessible zufolge entscheiden sich immer mehr junge Frauen für Studiengänge, die früher hauptsächlich von Männern gewählt wurden. Dieser Trend ist auch in der Informatik zu beobachten, was sehr positiv ist.

Wie fühlt man sich als Frau in dieser Männerwelt?

LdW: Grundsätzlich fühle ich mich sehr willkommen, aber ich habe auch schon das Gegenteil erlebt. Ich hatte auch schon männliche Kollegen, die meinten, dass ich mich als Mutter doch auf die Work-Life-balance achten solle, und die fragten, ob ich nicht etwas weniger Gas geben wolle. Das hat mich aber nie von meinem Weg abgebracht – ich habe höchstens einen Umweg gemacht und bin dann wieder auf dem Weg zu meinem Ziel zurückgekehrt. Im Allgemeinen fühle ich mich aber super in dieser Welt. Ich kenne es auch nicht anders, weil ich schon fast 25 Jahre in der ICT-Branche arbeite.

LHA: Ich habe mich daran gewöhnt. Während des Studiums und später bei der Arbeit war ich überwiegend von Männern umgeben. Ich habe bemerkt, dass es den Männern manchmal anfangs unangenehmer als mir selbst ist. Einige hatten zum ersten Mal eine Frau als Chefin. Doch nach meiner Erfahrung kann es – sobald man sich bewährt hat – ein Vorteil darstellen, eine Frau zu sein.

verfasst von

Claudia Langenegger

Redaktorin

«TopSharing ist ein Modell der Zukunft»

Menschen, Blog
Mehr erfahren
Julie Mackmood und Nicole Steck

«Die Liebe zu Zahlen habe ich von Mama, den Ehrgeiz von Papa»

Menschen, Blog
Mehr erfahren
Sandrine Müller steht vor dem Logo der PostFinance